Verkehrsrecht – Verweisung auf „freie“ Fachwerkstatt für Unfallinstandsetzung

Mit Urteil vom 07.02.2017 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden:

  1. Der Schädiger kann den Geschädigten gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien“ Fachwerkstatt verweisen, wenn er darlegt und beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt entspricht und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb einer markengebundenen Werkstatt unzumutbar machen würden.
  2. Bei Fahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann der Verweis auf eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit in einer „freien“ Fachwerkstatt insbesondere dann unzumutbar sein, wenn der Geschädigte konkret darlegt, dass er sein Fahrzeug bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen und dies vom Schädiger nicht widerlegt wird.
  3. Ist ein über neun Jahre altes und bei dem Unfall verhältnismäßig leicht beschädigtes Fahrzeug zwar stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt repariert, dort aber in den letzten Jahren vor dem Unfall nicht mehr gewartet worden, ist der Verweis auf eine „freie“ Fachwerkstatt nicht unzumutbar.

BGH, Urteil vom 07.02.2017 – VI ZR 182/16

Anmerkung:

Mit seinem Urteil ergänzt der Bundesgerichtshof (BGH) seine jüngste Rechtsprechung. Mit Rücksicht auf Gewährleistungsrechte, Herstellergarantie oder auch Kulanzleistungen hat der BGH bisher betont, dass im Rahmen der sog. fiktiven Schadensabrechnung – also der Schadensregulierung auf Basis eines Sachverständigengutachtens oder eines Kostenvoranschlags ohne Vorlage einer konkreten Reparaturrechnung – bei Neufahrzeugen bis zu drei Jahren die Höhe des Schadens ohne weiteres nach den Preisen einer markengebundenen Fachwerkstatt kalkuliert werden kann.
Bei Fahrzeugen, welche älter als drei Jahre sind und daher Gewährleistungs- und Garantiegesichtspunkte in der Regel nicht mehr im Vordergrund stehen, geht der BGH davon aus, dass der Verweis auf eine sog. „freie“ und mithin regelmäßig deutlich günstigere Werkstatt nur dann unzumutbar ist, sofern der Unfallgeschädigte sein Fahrzeug bisher durchweg in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen und damit sein gesteigertes Interesse an der fachmännischen Pflege nach Außen dokumentiert hat.

Mit dem aktuellen Urteil hat der BGH nun präzisiert, dass trotz einer lückenlosen Scheckheftpflege ein Werkstattverweis ausnahmsweise gleichwohl zumutbar sein kann, wenn das Unfallfahrzeug zum Unfallzeitpunkt bereits über neun Jahre aufweist und außerdem bereits seit längerer Zeit nicht mehr gewartet wurde.

Denn dann habe der Geschädigte ersichtlich keinen Wert – mehr – darauf gelegt, dass eine markengebundene Fachwerkstatt sein Fahrzeug regelmäßig wartet. Diese Einschränkung für ältere Fahrzeuge ist durchaus nachvollziehbar und im Ergebnis nicht zu beanstanden. Während die ersten drei Jahre für Neufahrzeuge wohl eine absolute Grenze darstellen, wird abzuwarten sein, ob der BGH die nun gezogene Grenze von neun Jahren für den Werkstattverweis als starre Grenze verstanden haben will.
Dies wäre freilich für die Praxis der Schadensregulierung äußerst hilfreich, erscheint indessen aber wenig plausibel. Entscheidend wird vielmehr sein, ob das Unfallfahrzeug zum Unfallzeitpunkt gleichsam bereits deutlich „in die Jahre“ gekommen ist. Klarzustellen bleibt indessen nochmals, dass die gegenständliche Rechtsprechung freilich nur den Fall einer sog. fiktiven Abrechnung ohne Reparaturrechnung betrifft. D. h., dem Geschädigten bleibt unabhängig vom Alter des Unfallfahrzeugs und der bisherigen Wartung, jederzeit – wie bisher auch – die Möglichkeit, sein Fahrzeug tatsächlich in einer markengebundenen Fachwerkstatt instand setzen zu lassen und sodann seinen Schaden konkret anhand einer vorgelegten Reparaturrechnung abzurechnen.